Fehlender Krankheits- und Rechtsschutz in den Bundeszentren für Asyl

Von: Johannes Gruber

Der VPOD begrüsst, dass die Anhörungen in den Asylzentren zum Schutz der Beteiligten für eine Woche ausgesetzt wurden. Diese Massnahme reicht aber noch nicht aus. In den Bundeszentren für Asyl sind laut Einschätzung von Experten weder die Asylsuchenden ausreichend vor COVID-19 geschützt noch faire rechtsstaatliche Verfahren mehr möglich.

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Wir schliessen uns den Forderungen von Amnesty Schweiz, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Solinetz Zürich und weiteren Hilfeorganisationen an: Die Asylverfahren müssen sofort sistiert werden! Bitte unterzeichnet den Appell von Solidarité sans frontières: https://www.sosf.ch/de/themen/asyl/informationen-artikel/appell-an-alle-behoerden.html?zur=41

Sowohl Bewohner*innen als auch Mitarbeitende in den Zentren wurden bereits positiv auf COVID-19 getestet. Da nicht mehr alle erkrankten Personen getestet werden, ist es unklar, wie viele Fälle von COVID-19 es in den Zentren gibt (wie auch sonst im Land). Die empfohlenen Schutz- und Distanzmassnahmen können derzeit nicht vollumfänglich umgesetzt werden: Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) sind die Befragungen und Anhörungen in engen Räumen mit einem erhöhten Ansteckungsrisiko verbunden, ebenso die Arbeits- und Anreisewege per öv, medizinisches Fachpersonal ist im Moment nur sehr eingeschränkt verfügbar etc.

Obwohl sich das Staatssekretariat für Migration (SEM) bemüht, die Kapazitäten für die Unterbringung der Asylsuchenden zu erhöhen, sind Augenzeugen zufolge die Unterkünfte des Bundes nach wie vor recht belegt. Um die Ausbreitung in den Zentren einzudämmen, müssten diese dringend entlastet werden. Bewohnerinnen und Bewohner müssten auf die nach wie vor vorhandenen kantonalen Unterkünfte verteilt werden, damit die empfohlenen Massnahmen dort auch tatsächlich umgesetzt werden können. Zudem braucht es eine kontinuierliche Information der Asylsuchenden bezüglich Corona mittels Merkblätter oder Infovideos in deren Sprachen (z.B. https://diaspora-tv.ch/ ).

Unter der Bedrohung durch COVID-19 leidet auch der Rechtsschutz für die Asylsuchenden: Die SFH kommt in ihrer Stellungnahme vom 20.3.20 «zum Schluss, dass die Sicherheit der beteiligten Personen nicht umfassend gewährleistet, eine sorgfältige Mandatsführung im Rechtsschutz in vielen Fällen nicht mehr möglich und faire rechtsstaatliche Asylverfahren mit hoher Entscheidqualität nicht mehr vollumfänglich sichergestellt sind. Die SFH fordert daher den Bundesrat auf, das Asylverfahren umgehend zu sistieren.»

Weiterhin spricht die SFH von folgenden Einschränkungen

  • «Social Distancing» kann aufgrund der räumlichen Gegebenheiten nicht überall konsequent eingehalten werden. Erschwerend hinzu kommt, dass die Asylsuchenden nicht in allen Zentren gleich gut über die Vorgaben und Empfehlungen des BAG informiert sind, um diesen genügend nachzukommen.
  • Dauer der Befragung: Das BAG empfiehlt eine Sitzungsdauer von maximal 15 Minuten. Befragungen im Asylverfahren dauern wesentlich länger. Direkte Befragungen und Anhörungen führen zu einem hohen Ansteckungsrisiko für alle Beteiligten, insbesondere dann, wenn wie etwa im Bundesasylzentrum Boudry Anhörungen teilweise in engen Kellerräumen durchgeführt werden.
  • Der Arbeits- und/oder Anreiseweg zu den oft abgelegenen Zentren für Asylsuchende, Rechtsschutzakteure, Hilfswerkvertreter, Betreuungs- und medizinisches Fachpersonal sowie SEM-Mitarbeitende erfordert in vielen Fällen die Nutzung des ÖV, obschon davon dringend abgeraten wird.

In der Zwischenzeit wurden die Asylbefragungen für eine Woche ausgesetzt, um zusätzliche Schutzmassnahmen für die Beteiligten zu ergreifen. Für viele weitere Massnahmen ist gemäss SEM ein bundesrätlicher Beschluss notwendig. Das SEM darf gemäss eigener Aussage ohne diesen Beschluss Verfahren nicht sistieren.

Entsprechend steht Karin Keller-Suter in der Verantwortung, ihre Aussagen an der Medienkonferenz des Bundesrats am 16.3. lassen allerdings nichts Gutes erahnen.

Am Montag, den 16.3. verkündete Karin Keller-Suter an der Medienkonferenz des Bundesrats, dass Asylsuchende keine «besondere Personengruppe» darstellten und somit die Einreisesperre in die Schweiz auch für diese gelte. Ihr zufolge könnten Asylsuchende ja z.B. in Italien um Asyl fragen. Eine solche Verhöhnung von schutzsuchenden Menschen ist für die Schweiz nicht nur beschämend, sondern stellt auch die Ankündigung eines offenen Rechtsbruchs dar. Informellen Berichten zufolge werden tatsächlich bereits im Tessin Asylsuchende an der Grenze abgewiesen. Dies ist ein klarer Verstoss gegen Asylgesetz und europäische Menschenrechtskonvention: Die Schweiz ist verpflichtet, Asylanträge entgegenzunehmen und sodann individuell zu prüfen, ob ein Anrecht auf Asyl besteht. Diese Prüfung, wer Anspruch auf Asyl hat und wer nicht, erfolgt im offiziellen Asylverfahren. Bei ablehnendem Bescheid muss zudem geprüft werden, ob eine Wegweisung möglich, zumutbar oder zulässig ist. Ist dies nicht der Fall, muss die Schweiz nach geltendem Ausländerrecht eine vorläufige Aufnahme verfügen.

Mit ihren Rechtsbrüchen ist die Schweiz nicht alleine. Die Aussengrenzen der EU sind wegen der Ausbreitung des Coronavirus für Nicht-EU-Bürger geschlossen, de facto ist die legale Einreise nach Europa für Geflüchtete so gut wie unmöglich geworden. Griechenland hat bereits Anfang März verkündet, aufgrund einer «Notlage das Recht auf Asyl» für einen Monat auszusetzen, Wer die Grenze irregulär überquert, muss mit sogenannten «Pushbacks» durch die Polizei rechnen, die massive Gewalt anwendet, um etwa mit Schlagstöcken, Tränengas, Blendgranaten und Gummigeschossen die Geflüchteten wieder zurückzudrängen. Zeugen berichten davon, dass diesen Handys und Geld abgenommen, Kleidung und Schuhe ausgezogen werden und so jenseits der Grenze wieder ausgesetzt werden. Auch kommt es zu Festnahmen sowie Verurteilungen zu drakonischen Haftstrafen und hohen Geldstrafen. All dies verstösst gegen die EU-Grundrechtecharta, die europäische Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention. Die deutsche NGO «Pro Asyl» spricht von «menschenrechtsfreien Zonen» an den EU-Aussengrenzen.

In vielen anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sieht es wohl nicht besser aus. Medienberichten zufolge waren an den gewaltsamen Polizeiaktionen an der türkisch-griechischen Grenzen sogar auch 77 deutsche Polizeibeamte involviert. In Deutschland erklärte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dass die humanitären Aufnahmeverfahren ausgesetzt wurden, ebenso die «Resettlement-Verfahren», über die besonders schutzbedürftige Flüchtlinge direkt ins Land geholt werden. Die Tageszeitung «taz» berichtet davon, dass die deutschen Behörden das Recht, einen Asylantrag zu stellen, einschränkten: «Schutzsuchende dürfen das nur noch dann, wenn sie negativ auf das Virus getestet wurden oder eine 14-tägige Quarantäne nachweisen können [...] Das Gleiche gelte für Anhörungen im Asylverfahren.»

Auch hier wird willkürlich geltendes Recht gebrochen. So gross die Herausforderung im Umgang mit COVID-19 auch sein mag, das Asylrecht ist weiter in Kraft, sodass Asylgesuche auch aufgenommen und geprüft werden müssen. Ist dies in einer Notlage nicht möglich, müssen die entsprechenden Verfahren verschoben und die Schutzsuchenden einstweilig aufgenommen werden.

Das Grund- und Menschenrecht auf Asyl ist in der Schweiz und der Europäischen Union nicht länger sichergestellt. Die Massnahmen gegen COVID-19 dürfen nicht dazu dienen, Menschenrechte zu verletzen und gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu verstossen!

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