Frauen in der Corona-Krise

Die letzten Wochen haben überdeutlich gemacht, was Frauen schon lange kritisieren: Pflege- und Betreuungsarbeit sind unterschätzt und unterbewertet, und die Profitorientierung in diesen Bereichen hat zu schwerwiegenden Problemen geführt. Nach der Krise darf es keine Rückkehr zur "Normalität" geben, denn "normal" bedeutet in diesem Zusammenhang: auf Kosten der Frauen und des Gemeinwohls.

Die COVID-19-Pandemie betrifft alle - gesundheitlich, sozial und wirtschaftlich, aber die Frauen standen bei der Bewältigung an vielen Orten in der vordersten Reihe.

Frauen machen in der Schweiz mindestens 3/4 des Gesundheitspersonals aus, wodurch sie einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Gleichzeitig tragen Frauen angesichts der Schliessung von Schulen und Kinderbetreuungseinrichtungen und der seit langem bestehenden geschlechtsspezifischen Ungleichheiten bei der unbezahlten Arbeit auch zu Hause einen Grossteil der Last. Bei prekären und schlecht bezahlten Arbeitsplätzen gab es in den letzten Wochen besonders viel Kurzarbeit und Entlassungen, wovon ebenfalls besonders Frauen betroffen sind, und sie sehen sich in Krisen- und Quarantänezeiten einem erhöhten Risiko von Gewalt, Ausbeutung, Missbrauch oder Belästigung ausgesetzt.

Die vergangenen Wochen haben überdeutlich gezeigt, was Frauen seit langem kritisieren:

  • Pflege und Betreuungsarbeit ist unterbewertet
  • auf die Doppelbelastung von Frauen durch familiäre Verpflichtungen und Erwerbsarbeit gibt es keine angemessenen Antworten
  • sexuelle Gewalt und Ausbeutung werden nicht entschieden genug bekämpft.

Die Corona-Krise hat das unübersehbar zum Vorschein gebracht.

Und sie hat gezeigt, dass die grossen Probleme dort entstanden sind, wo Auslagerungen und Privatisierungen in den vergangenen Jahrzehnten die öffentlichen Strukturen zugunsten von privater Gewinnorientierung ausgehöhlt haben.

Spitäler und Pflegeheime mit zu knappen Personalschlüsseln und ohne ausreichendes Schutzmaterial, Privatspitäler, die aufgrund ihres Geschäftsmodells in der grössten Gesundheitskrise des Landes Kurzarbeit anmelden, Kinderbetreuungseinrichtungen, die trotz Grundversorgungsauftrag in ihrer Existenz bedroht sind, Unternehmen im Bereich der Arbeitsintegration, welche aufgrund der Subjektfinanzierungsmodelle vom Ruin bedroht sind, Pensenreduktion bei ausgelagertem Reinigungspersonal, – dies sind nur ein paar wenige Beispiele von vielen. Vielerorts traf es Mitarbeitende mit kleinen und kleinsten Pensen und Beschäftigte mit prekären Arbeitsbedingungen.

Die letzten Monate haben sehr deutlich gemacht, dass die Modelle der marktförmigen Regelung und Profitorientierung in Bereichen der Pflege, Betreuung und Grundversorgung der Gesellschaft Schönwettermodelle sind, welche einer Krise nicht standhalten – also genau dann, wenn die Dienstleistungen am notwendigsten sind.

Nach der Erfahrung der letzten Wochen kann es keine Rückkehr zum vorherigen Zustand geben. Aber es ist in den letzten Wochen auch deutlich geworden, dass es gute und sinnvolle Regelungen gibt und dass sie machbar sind.

Dazu gehören

  • Bezahlter Urlaub für Eltern, die aufgrund von gesundheitlichen Problemen oder anderen Engpässen ihre Kinder betreuen müssen
  • Finanzierung des Betreuungsurlaubs durch die Sozialversicherung (Entlastung der Arbeitgeber)
  • Ein klarer Auftrag an Kantone und Gemeinden, dass Kinderbetreuung angeboten werden muss
  • Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsvereinbarungen, die sich an den Betreuungsaufgaben der Eltern orientieren
  • Erleichterter Zugang zu Kurzarbeit und Arbeitslosengeld, auch für Personen in nicht-regulären Arbeitsverhältnissen

Diese Regelungen müssen in einer regulären Form neu ausgearbeitet und erweitert werden (zum Beispiel um einen generellen bezahlten Pflegeurlaub). Für die Nachbereitung der Krise wie auch die Vorbereitung auf mögliche weitere Krisen muss jetzt ein Schritt weiter gegangen werden:

  • Die Auswirkungen der Corona-Krise und die geplanten Massnahmen müssen unter geschlechtsbezogenen Gesichtspunkten untersucht und geprüft werden, auf nationaler wie auf kantonaler Ebene.
  • Konjunkturmassnahmen und steuerliche Massnahmen müssen im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Frauen und sogenannte Frauenbranchen geprüft werden.
  • Beratungsgremien und Krisenstäbe müssen grundsätzlich zur Hälfte mit Frauen besetzt sein und die Perspektive der Pflege- und Betreuungsberufe muss dort vertreten sein.

Eine Rückkehr zur «Normalität» der Vor-Corona-Verhältnisse ist nicht erstrebenswert. Die Pandemie hat gezeigt, dass die Prioritäten unserer Gesellschaft in wichtigen Grundfragen falsch gesetzt sind. Es ist notwendig, hier eine Kehrtwende zu vollziehen und das Gemeinwohl wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Grundsatzpapier der VPOD-Frauen zum 14. Juni 2020

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10.06.2020 Forderungen VPOD-Frauen zum 14. Juni 2020 PDF (131.1 kB)